Immer am Ball – Fußballartistin Aylin Yaren

Mit ein paar kleinen Tricks fing es vor zwei Jahren an. Mittlerweile hat Aylin Yaren (21) um die 50 Auftritte pro Jahr als eines der wenigen Freestyle Girls in Europa. Außer sonntags, dann kickt sie lieber für den 1. FC Lübars in der 2. Bundesliga. Freestylen gibt sie den Ball so schnell nicht her, auf dem Platz schon: „Ich bereite gern Tore vor.“

 

Die dunklen Augen sausen konzentriert mit dem Ball hin und her, der von einer Fußspitze zur anderen fliegt, auf und ab – bis der Blickkontakt kurz abreißt und der Ball in Aylin Yarens Nacken landet. Von dort geht es weiter auf den Kopf, bevor Aylin den Ball dann wieder mit Füßen und Knien durch die Luft wirbelt. „Man braucht viel Geduld, wenn man sich einen neuen Trick beibringt“, sagt die in Berlin geborene Deutsch-Türkin.

Ihr spektakulärstes Kunststück ist der Fingertrick, bei dem sie den Ball auf dem Zeigefinger andreht, ihn auf dem Kopf auf einer Mütze rotieren lässt, die Mütze mit einem Ruck wegzieht und der Ball weiter seine schnellen Runden dreht, bis er schließlich stehen bleibt. „Am Anfang habe ich davon sogar Armkrämpfe gekriegt. Aber wenn ich etwas wirklich will, dann versuche ich es immer und immer wieder, bis ich es kann.“ Aylin nimmt sich viel Zeit für das „Tricksen“. Im Sommer übt sie ihre Kunststücke draußen, im Winter räumt sie in ihrem Zimmer alle Sachen in die Ecke, dreht Musik auf und es geht los. Neues lernt sie in erster Linie von ihren Kollegen bei der Sportmarketingagentur Fußballmarkt, bei der Aylin seit 2009 unter Vertrag steht, aber auch von Internetvideos. Bei ihren ersten Auftritten war Aylin mächtig aufgeregt, aber zum Glück stellte sich bald so etwas wie Routine ein. Wackelige Knie kann man beim Freestylen am wenigsten gebrauchen. „Mittlerweile weiß ich auch, was bei den Leuten gut ankommt.“ Im WM-Jahr 2011 hat Aylin gut doppelt so viele Auftritte wie sonst. Sie wird bei sämtlichen Spielen der Nationalmannschaft neben dem Platz zeigen, was sie drauf hat. „Hoffentlich bleibt das Interesse am Frauenfußball auch nach der WM bestehen: Die Leute sollen mal sehen, dass die Frauen das auch können“, sagt sie.

„Fußball ist mein Leben“
Als Fünfjährige setzt sich Aylin in den Kopf, wie ihr großer Bruder Taner Fußball zu spielen. Ihre Mutter ist mäßig begeistert: „Ich glaube, sie wollte lieber, dass ich mit Puppen spiele.“ Aber der Vater meldet seine Tochter sofort beim Verein an. Aylins Mutter ist überzeugt, dass die Tochter nach ein paar Trainingseinheiten das Interesse verliert. „Nichts da, ich habe das durchgezogen und wollte auch immer nur Fußball spielen. Meine Mutter hat mich sogar mal beim Tennisverein angemeldet, aber da habe ich sofort wieder aufgehört.“ Mittlerweile ist Aylins Mama natürlich stolz auf ihre Fußballtochter. Und Aylin freut sich, dass die ganze Familie hinter ihr steht und sie all die Jahre unterstützt.

Alyins saubere Technik und Ballbeherrschung sticht früh heraus, ab 2005 spielt sie mit Tennis Borussia Berlin in der 2. Bundesliga. 2007 gelingt Aylin ihr bislang größtes Kunststück. Eine Freundin bekniet sie Monate lang, sich beim ZDF Sportstudio für das Torwandschießen zu bewerben. Mit einem von ihrem Bruder gedrehten Bewerbungsvideo gewinnt Aylin die Online-Abstimmung. Zu diesem Zeitpunkt steht ihr Gegner noch gar nicht fest. Dass es sich dann um den Ausnahmespieler Franck Ribéry handelt, erfährt Aylin erst kurz vor ihrem Auftritt: „Da denkst du dann schon: Ist das ein Traum oder was?“ Nachdem Ribéry routiniert die ersten drei Bälle versenkt, fragt sich Aylin was sie dort überhaupt soll. Und dann die Überraschung: Aylin trifft viermal, Ribéry haut noch dreimal daneben.

Vom Sportstudio nach Schweden
Die Torwandaktion bleibt auch dem Trainer des LdB FC Malmö nicht verborgen. Jörgen Petersson hatte Aylin bereits bei ihrem ersten Länderspiel mit der U17 Nationalmannschaft in Schweden beobachtet, bei dem sie auch ihr erstes Länderspieltor erzielte. Nach Aylins gelungenem Auftritt im Sportstudio ist er endgültig von ihrem Talent überzeugt und kontaktiert sie einige Wochen später per E-Mail. „Als ich die Nachricht gelesen habe, bin ich direkt nach Schweden geflogen, habe ein Probetraining gemacht, der Trainer war beeindruckt, ich bin nach Hause zum Kofferpacken und dann wieder zurück nach Schweden“ erinnert sich Aylin. „Das ging alles ruck zuck.“ Die damals 18-Jährige wechselt in die schwedische Liga, die als eine der besten der Welt gilt. „In Schweden wird ein anderer Fußball als in Deutschland gespielt: viel schneller, athletischer und technisch besser.“ Vor allem die dortige Begeisterung für den Frauenfußball beeindruckt Aylin: „Ich konnte es kaum glauben, mit eigenen Augen zu sehen, wie voll das Stadion war. So was gibt es in Deutschland nicht.“ Auch die Freundlichkeit und Offenheit der Schweden gefällt ihr.

Nach zwei Jahren zieht es Aylin zurück nach Deutschland: „Ich habe meine Familie und das Essen von meiner Mama vermisst. Aber auch die Sprache und meine Freunde“. Aylin will die Erfahrung, die sie in der „Damallsvenskan“ gemacht hat, mit nach Deutschland nehmen und auch dort den Sprung in die 1. Liga schaffen. Sie kehrt zu ihrem Heimatverein Tennis Borussia Berlin zurück, dem in der Zwischenzeit der Aufstieg gelang. Leider ist die Rückrunde 2010 ein Desaster und der Abstieg nicht zu verhindern: „Wir haben nur verloren, das war so ziemlich mein schlimmstes Fußball-Erlebnis.“ Aktuell kickt sie beim Berliner Zweitligisten 1. FC Lübars mit dem sie „eine geile Hinrunde mit sieben Toren und vielen Vorlagen“ gespielt hat. Ihre Lieblingsposition ist das zentrale Mittelfeld: „Dort habe ich genügend Freiraum, kann viel laufen und die Bälle verteilen.“

Also lieber Schweiß auf dem Fußballfeld, statt spektakuläre Tricks vor Publikum? Beides. „Normaler“ Fußball stand bei Aylin immer an erster Stelle, aber auch das Freestylen hat seinen Reiz. „Ich reise unheimlich gerne, deshalb mach ich auch den Freestyle so gerne. Ich komme viel herum, bin in Städten, in denen ich noch nie war und komme in kleine Dörfer, in die ich auch nie gehen würde“, lacht sie. Der Sport soll noch einige Zeit ihr Lebensmittelpunkt bleiben: „ Solange die Beine mitmachen, werde ich Fußball spielen!“