In die Ferne sehen – Sebastian Oelschlegel zur Formatentwicklung im TV

Wer entscheidet eigentlich über die Fernsehformate von morgen? Formatentwickler Sebastian Oelschlegel spricht über Inspirationsquellen, Kostendruck und die Zukunft des Fernsehens.

Herr Oelschlegel, welche Formate fehlen dem deutschen Fernsehen?

Dem deutschen Fernsehen würde es gut tun, sich wirklich auf wenige Entwicklungen zu konzentrieren, diese aber richtig gut umzusetzen. Ich denke da an Heidi Klums Germany’s next Topmodel. Die deutsche Adaption ist mittlerweile – und das sagen auch die Amerikaner – besser als das Original. Hier wurde sehr auf die Anforderungen des deutschen Marktes geachtet und auch genügend Geld für ein sehr gutes Ergebnis in die Hand genommen. Ohne das Korsett des Sparzwangs deutscher Sender wäre vieles leichter. Die Kreativität ist da und die Ideen sind es auch.

Kreativ dank Legosteinen

Woher kommen die Ideen?
Als Formatentwickler inspiriert man sich natürlich an den Fernsehtrends aus Amerika und England, aber auch an Australien und Japan. Im Internet schaut man sich insbesondere dort um, wo spielerische Elemente auftauchen, etwa bei Farmville auf Facebook. Facebook ist eine sehr große Inspirationsquelle, weil dort Zeitgeist ganz konzentriert auftritt.
Ich persönlich werde beim Bauen mit Legosteinen sehr kreativ. Und natürlich schaue ich mir auch Zeitungen, Trendmagazine und sonstige Internetentwicklungen an, die deutlich machen, in welche Richtung es gehen wird.

Spielerei wird wichtiger

Und in welche Richtung wird es gehen?
Der Trend geht in Richtung Spielerei. Das äußert sich in Formaten, die nicht mehr so kompliziert sind, die eine ganz klare Aussage, einen ganz klaren Verlauf haben. Die deutschen Zuschauer wollen echte Leistung, Leute, die es wirklich geschafft haben. Deshalb funktionieren nach wie vor Castingshows gut. Was weniger werden wird, ist Dokutainment, bei dem oft so richtig im sozialen Matsch gegraben wird: Super-Nannys, Schuldenberatung, Camps für Jugendliche.

Was zeichnet einen guten Formatentwickler aus?
Eine Mischung aus Kreativität, Trendgefühl und Gespür für das, was technisch und finanziell machbar ist. Man sollte immer wieder über den Tellerrand blicken, ohne dabei größenwahnsinnig zu werden. Das wäre auf dem deutschen Markt sehr hinderlich.

Kaum Platz für Neuerungen

Es sieht also nicht so gut aus mit dem Innovationsgeist der deutschen Sender?
Der deutsche Innovationsgeist ist in diesem Feld weltweit der kleinste. Die wahren Neuerungen kommen entweder aus den USA oder aus England. Man schaut eigentlich nur noch ins Ausland und kopiert, und dies teils leider ziemlich schlecht. Das liegt zum einen an Innovationsangst generell und zum anderen am enormen Druck zum Sparen.
Neue Formate bekommen kaum Zeit, sich zu behaupten. Wenn sie nicht sofort Quote bringen, sind sie weg. Die Sender haben komischerweise noch nicht begriffen, dass sie gerade deshalb Innovation zeigen sollten, weil ihnen das Internet mittlerweile den Rang abläuft.

Bestseller Fernsehkrimi

Welche Taktik führt am ehesten zum Quotenhit?
Ein ordentliches Budget und auf jeden Fall eine tolle spektakuläre Aufmachung. Was vielen deutschen Formaten fehlt, ist leider Authentizität. Das ist auch der große Vorteil des Internets, dass es dort aufgrund der Sehgewohnheiten und wackeliger Kameras zumindest immer noch so wirkt, als sei alles echt.

Wie sieht es denn mit fiktionalen Inhalten aus, werden die in Deutschland überhaupt noch entwickelt?
Mit fiktionalen Formaten ist die deutsche Fernsehwelt weltweit sehr erfolgreich. Tatort, Derrick und Der Alte wurden ja bis nach China verkauft. Das Problem ist, dass eine fiktionale Folge bis zu zehn Mal mehr kostet als eine non-fiktionale. Deshalb wird vieles nicht realisiert. Es gibt fast nur Krimis, weil der deutsche Zuschauer die sehr gerne mag und Daily Soaps, die billig zu produzieren sind.

Das Fernsehen der Zukunft ist interaktiv

Inwiefern haben sich neue Fernsehformate aufgrund des Internets verändert?
Das Internet prägt ganz massiv unsere Sehgewohnheiten. Ich kann schauen was ich will und wann ich will, aus welchem Land ich will und auf welchem Sender ich will. Im Prinzip sind die ganzen Homevideos, die auf Youtube und via Facebook verbreitet werden, bereits Formate. Und wenn zum Beispiel coole Jungs und Mädchen mit ihren Skateboards spektakuläre Tricks im Internet zeigen, kann es durchaus passieren, dass sie irgendwann als MTV-Format auftauchen. Die Zuschauer gestalten das Fernsehen zunehmend selbst.

Sie haben mittlerweile ein eigenes Unternehmen und konzentrieren sich auf Flash-Design im Internet. Warum haben Sie der klassischen Formatentwicklung für das Fernsehen den Rücken gekehrt?
Es gibt dafür einen ganz einfachen technischen Hintergrund. Das Fernsehen wird sich in den nächsten zehn Jahren massiv wandeln. In Zukunft schaut man über das Internet. Das Programm wird sich jederzeit stoppen lassen und sämtliche Elemente sind anklickbar. Somit kann man alles im Programm verlinken und mit Hintergrundinformationen ausstatten. Bei Schauspielern wird man dann auf deren Homepage weitergeleitet oder erfährt, wann der nächste Film mit ihnen läuft. Damit funktioniert auch die Bewerbung des eigenen Programms. Das ist echt interaktives Fernsehen.

Alle Medien bedienen

Das hat mit der klassischen Formatentwicklung doch nicht mehr viel zu tun?
Auf den ersten Blick nicht, aber auf den zweiten ist es identisch. Formatentwicklung muss mehr denn je als große Hybrid-Entwicklung gesehen werden. Entweder man bedient alle Kommunikationswege – oder man muss damit rechnen, dass das Format nicht den Erfolg hat, den man erzielen will.