Reisekolumne: Andrea unterwegs

Ausgestattet mit einem ausgeprägten Reisegen und einem 55+10 Liter Rucksack schaute sich unsere Autorin um in der Welt. Und erzählt nun regelmäßig von ihren Erlebnissen.

 

FOLGE 1: VERHÄNGNISVOLLE HÄNGEMATTEN

Wenn einem am frühen Morgen, während man gemütlich in seiner brasilianischen Hängematte liegt, ein kleiner grün schillernder brasilianischer Kolibri – ein bezauberndes Geschöpf – auf die Hose kackt, dann wird es ein aufregender Tag.

Und wenn man dann später bei einer gemütlichen deutsch-amerikanischen Grillaktion das Salz vergisst, los rennt, einen Verandahürdenlauf über quer hängende Hängematten absolviert, hängen bleibt und unsanft auf den Boden kracht, dann endet dieser Tag in einem brasilianischen Insel-Krankenhaus. Auf besagter Veranda stand ein Stuhl, und nachdem mein Fuß sich in der Hängematte verhakt hatte, verkeilte sich mein rechter Ringfinger mit dem Stuhlbein und befand sich für ein paar Sekunden in einer ganz und gar nicht normalen 90 Grad Position zu den an Ort und Stelle verbliebenen restlichen Fingern.

Fußball über alles

In der Klinik erwartete mich ein gut gelaunter Arzt: „Ja die Deutschen, die mag ich, gegen die haben wir im Fußball gewonnen!“ (Wie gut, dass wir das Endspiel der WM 2002 verloren hatten.) Nach einem kurzen Blick auf das Röntgenbild – aufgenommen mit einem Gerät das aussah als wäre es in Deutschland in den 60er Jahren ausgemustert worden und welches erst beim zweiten Anlauf ein brauchbares Bild produzierte – teilt er mir mit, dass nichts gebrochen sei und Brasilien auch weiterhin die bessere Mannschaft bleiben werde.

Krumm wie ein Bagel

Vier Wochen später sitze ich bei einem bolivianischen Arzt, der alle paar Monate aus La Paz in das kleine Dorf im Altiplano anreist, um die Einwohner durchzuchecken. Auf die Frage, ob auch ich ihn konsultieren dürfe, antwortet er: „Jeder der bedürftig ist, darf sich anstellen.“ Nach einem kurzen Blick auf meinen Finger – der gekrümmt ist wie ein halber Bagel und fast genauso dick – stellt er nüchtern fest: „Na, da haben die brasilianischen Kollegen aber gemurkst“, gibt mir eine abschwellende Salbe und schickt mich ins Krankenhaus von Uyuni. Der Kollege dort lacht erst mal, schient mir meinen schief zusammengewachsenen Bänderriss und zählt auf die Kollegen in Deutschland: „Ihre Ärzte sind ja eh viel besser, die kriegen das schon hin!“
Das haben sie tatsächlich. Sechs Monate und 18 Ergotherapieeinheiten später ist der Finger „mit viel Geduld und Schmerzen“ (die Worte des deutschen Kollegen) im wahrsten Sinne des Wortes wieder grade gebogen.


 

FOLGE 2: ÜBER LATINOESSEN

Sie ist klein, rot und sieht trotzdem unglaublich harmlos aus. Doch die niedliche Schote ist eine scharfe Lady. Wehe dem, der unbedacht zubeißt. Der Name allerdings lässt erahnen mit wem man es hier zu tun hat: Rocoto. Ro-Co-To. Klingt wie Stakkato, kurz und abgehakt: kurz zum Mund geführt und ganz schnell wieder raus.

„Ein bisschen Schärfe kann nicht schaden”, denken sich Flo, der die Spaghetti rührt und ich, die das Gemüse inklusive einer ganzen Rocoto-Schote schnippelt. Unsere peruanischen Freunde in Cusco sehen das später etwas anders, spucken Feuer und sind fassungslos, dass die Deutschen so scharf kochen. Wir finden das Essen gelungen. Verkehrte Welt im Land des Aji (gelber Chilli) und Rocoto.

Snack mit Rückkehrgarantie

Chillis gibt es in Mexiko auch eine ganze Menge, eine interessante Verwendung finden sie für Chapulines, Pflichtkostprobe für jeden Oaxaca-Besucher. Die Tradition will es so, schließlich kommt jeder Gast, der die mit rotem Chilli und Limettensaft gerösteten Grashüpfer zumindest probiert, wieder nach Oaxaca zurück. Auf den ersten Blick scheint der Mexikaner schlechthin ein Faible für klein-tierisches Eiweiß zu haben, wobei ich mir nicht sicher bin, ob die Würmer im Mezcal (regionaler Agaven-Schnapps) auch verspeist werden.

Lieber probiert als nur studiert

Weitere kuriose kulinarische Köstlichkeiten: Lama (ziemlich zäh, vielleicht hat es die nette bolivianische Köchin aber einfach nur verkocht), Ceviche (kleingeschnittener roher Fisch in Limettensaft mariniert; war in meinem Fall noch nicht ganz durch und führte zur Fischvergiftung; eigentlich aber eine peruanische Köstlichkeit) und nicht zu vergessen: im brasilianischen Pantanal selbst gefangener und dann gegrillter Piranha (vorzüglich! Vielleicht war es aber auch nur der Jagdstolz). In Brasilien schmeißt man übrigens gern Hühnerfüße und Schweineohren in den Kochtopf. Letzteres gehört zum Nationalgericht Feijoada, ein Eintopf aus den obligatorischen schwarzen Bohnen und allerlei anderen Zutaten (getrocknetes Fleisch, Zunge, Würstchen, Schweinefüße) je nachdem, wie viel sich die Familie leisten kann.

Was ich mir geleistet habe, waren zumindest in den meisten Fällen Kostproben von dem was da so exotisch und nicht immer verlockend vor mir lag. Bis auf den Ceviche, der einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, hat mein Magen nie wirklich besorgniserregend reagiert. Drei Jahre später stand übrigens wieder eine Portion vor mir, die ich argwöhnisch beäugte. „Wer wird denn da vor einem Teller voll Essen Angst haben?“, dachte ich und schob schnell ein Stück in den Mund. Das war dann aber auch genug.


 

FOLGE 3: ÖFFENTLICHE VERKEHRSMITTEL USA

Es gibt Vorurteile an denen ist definitiv was dran. Dass Deutsche viel Bier trinken zum Beispiel (im Schnitt ca. 120 Liter im Jahr). Oder dass die Amis selbst zum 24/7 um die Ecke mit dem Auto fahren. Da wird man als deutscher Fußgänger in Houston schon mal schief angeschaut – wenn man sich nicht gerade auf dem Weg vom geparkten Auto zum Coffeeshop befindet.

Aber es gibt sie dennoch, die öffentlichen Verkehrsmittel in us-amerikanischen Städten. Und sie funktionieren erstaunlich gut. Nicht nur in New York, wo die Metro nun wirklich unerlässlich ist, sondern auch im Kleinstadt-Triangle Raleigh/Durham/Chapel Hill in North Carolina. Ein bisschen Stadtabenteuerlust und Zeit muss man allerdings fast immer mitbringen und darf auf keinen Fall das Transferticket vergessen. Dafür gibt es immer wieder mal nette Busfahrer, die über deutsche Vorfahren oder sonstige Verbindungen zu Deutschland plaudern und einen an der richtigen Haltestelle raus schmeißen.

Während draußen Vororte vorbei rauschen, wie man sie aus Filmen und Serien kennt, könnte man im Inneren des Busses fast meinen, man befindet sich in Lateinamerika, die Geräuschkulisse hat meist eine deutlich spanische Färbung. Ansonsten sind hauptsächlich Studenten und ältere Leute unterwegs. Und hin und wieder ein europäischer Tourist.

Zur Not hilft die Polizei
Nur einmal war die richtige Bushaltestelle einfach nicht aufzufinden. Und das auch noch im kalifornischen San Diego, wo mich das Bus- und Tramsystem fast eine Woche lang problemlos von A über B nach C transportiert hatte. Wie gut, dass gerade ein Streifenwagen am Gehsteig parkte. Die Polizisten schauten uns ungläubig an und kannten sich mit den Bussen natürlich gar nicht aus. „Ach ja, ihr seid ja aus Europa, da fährt man mit dem Bus. Kommt, springt rein, wir fahren euch zum Hostel.“ Eine sehr nette Geste. Die Glasscheibe zwischen den gepolsterten Vordersitzen und der Plastikrückbank und die nicht vorhandene Beinfreiheit führte allerdings zur etwas vorlauten Schlussfolgerung: „Ihr seid aber nicht nett zu euren Kriminellen.“ Zum Glück verstanden die beiden netten Kerle auch noch Spaß.

Zum Flughafen kommt man übrigens immer irgendwie. Meine Schwester wurde vor Kurzem von einer Zufallsbekanntschaft privat dort hin gefahren, nachdem der Flughafenbus zweimal nicht zur vorgesehenen Zeit aufgetaucht war.


 

FOLGE 4: VON BRASILIANISCHEN CHARMEUREN

„Was für wunderschöne blaue Augen!“ Ach, man könnte fast dahin schmelzen. Wenn diese Behauptung nicht aus einem brasilianischen Männermund stammen würde und wenigstens halbwegs wahr wäre. Meine Augen sind braun. Und meine Haare gehen mit viel Fantasie als „honigblond“ durch – um beim brasilianischen Charme-Jargon zu bleiben.

Trotzdem schlägt auch bei mir das Gringa-Radar brasilianischer Männer sofort an, was sich in schmachtenden Blicken, zweifelhaften Komplimenten und penetranter Hartnäckigkeit äußert. Die tatsächlich blonde und blauäugige Veronika findet das toll: „Andrea, entspann dich mal und genieß’ die Aufmerksamkeit. Zuhause sieht es wieder ganz anders aus.“ Stimmt. Trotzdem.

Und auch wenn sie im Falle eines spontanen Verehrers etwas nervt, so ist die brasilianische Begeisterung und Überschwänglichkeit doch ein unglaublich feiner Charakterzug. Der vor allem auch in spontaner, sofortiger und selbstverständlicher Gastfreundschaft zum Ausdruck kommt. Ich wurde zu rauschenden Geburtstagsfeiern Einjähriger geladen (im Gegensatz zu deutschen Kindergeburtstagen in erster Linie ein Fest für die Erwachsenen – andere Kinder, außer dem Cousin, waren nicht anwesend), wurde quasi in die Familie einer in Deutschland lebenden (sehr weit) entfernten Bekannten integriert, durfte mit einer brasilianischen Clique in Olinda Karneval feiern und wurde mit selbst gebastelten, selbst gekauften, selbst gebrauchten und selbst gebrannten Geschenken bedacht.

Plaudern auf Brasilianisch – Drei gewinnt

Begeistert waren übrigens auch die Kinder, die ich ein halbes Jahr betreut habe. Schließlich wussten sie (zumindest anfangs) alles besser als eine Erwachsene, der man elementare Dinge beibringen muss, z.B. was ein „prato“ (Teller) ist. Eine Konversation lässt sich zum Glück aber auch mit weniger komplizierten Vokabeln bestreiten. Alles was man braucht ist: „Oi. Tudo bem?“ („Hallo, alles klar?“), „Obrigado/Obrigada“ („Danke!“ Hier wird nach Geschlecht unterschieden, ein Mann sagt „obrigado“) und „é“ (wörtlich: „Es ist“; wird beim Sprechen in die Länge gezogen und drückt in der Regel Zustimmung aus, vor allem wenn es mit einem bedächtigen Kopfnicken gepaart wird.). Die Brasilianer redeten, ich streute meine Wörter ein.

Später war ich freilich in der Lage, die linguistischen Feinheiten der Möchtegern-Casanovas zu erfassen, was sie zunächst in helle Aufregung versetzte. Da verstand jemand tatsächlich ihre zuckersüßen Worte. Die Begeisterung ließ allerdings schnell nach, wenn ich – meiner Meinung nach – angemessen reagierte: „Ach ja? Mach mal deine dunklen Augen ganz weit auf und denk dir einen neuen Spruch aus.“


 

FOLGE 5: DIE GEFAHR LAUERT ÜBERALL

Ja, ich habe eine Vorliebe für Hängematten – auch wenn sie mich, wie bereits berichtet, k.o-gehen lassen. Nicht nur beim Hängematten-Sprint, sondern mitunter auch beim simplen Abhängen. Zweimal bin ich schon mitsamt meiner Hängematte vom Haken geplumpst. Kaum eine Reise vergeht ohne Blessuren.

Mit einer weiteren eigentlich sehr gemütlichen Ruhestätte – einem Bett – hatte ich in Foz do Iguaçu (Brasilien) so meine Probleme. Nach einer anstrengenden Wasserfall-Tour und einer rauschenden Party im Hostel lag ich also schlummernd in meinem Stockbett. Man ahnt es schon: Ich schlief oben. Elena, meine Reisegefährtin war noch am Feiern und zwischenzeitlich hatte eine unserer Zimmergenossinnen die Tür verschlossen. Irgendwann hörte ich laute, dumpfe Schläge und stand auf. Zumindest hatte ich das vor. In meinem verträumten Dämmerzustand hatte ich vergessen, dass ich mich auf einer Höhe von ungefähr 1,60 m befand, unter mir ein kalter Betonboden, auf den ich mit vollem Karacho krachte. Eine Stimme von draußen: „Andrea, oh Gott, ist der Schrank umgefallen?“ Äh, nein, das war ich … Mein Knie war tagelang tiefschwarz.

Schmerz lass nach …

Schlimmeres blieb mir zum Glück erspart, genau wie bei sämtlichen anderen Stürzen, schmerzhaften Bekanntschaften mit Laternenpfosten (Christchurch, Neuseeland) und einer penibel geputzten Glastür (Oaxaca, Mexiko). Einmal brauchte ich allerdings dringend Hilfe in Form eines Esel-Taxis, weil mein Knie die Steigung des Colca Canyons in Peru nicht mehr mitmachen wollte. Der Schmerz war diesmal ausnahmsweise nicht auf meine Tollpatschigkeit, sondern auf meine bei großer Anstrengung nach Außen kippenden Kniescheibe zurückzuführen. Die Tatsache, dass ich zu dieser Zeit bereits mit einem unentdeckten Bänderriss im rechten Ringfinger (siehe Teil 1), tausender fies juckender Mückenstiche und einer offenen Wunde an der Fußsohle durch die Gegend lief (die Fischvergiftung, siehe Teil 2, kam erst später), sorgte für tiefes Mitleid bei meinem Reisebegleiter. Gesagt hat er mir das allerdings erst, als wir wieder zu Hause waren und ich in der Obhut eines Orthopäden: „Sonst hättest du womöglich angefangen zu jammern.“

Von wirklichen Gefahren wie meinem versehentlichen Spaziergang in eine brasilianische Favela, der Fahrt mit einem lebensmüden Taxifahrer in Montevideo (Uruguay), halsbrecherischen Nachtbusfahrten auf unbefestigten Straßen in den Anden und einem Taxifahrer, der auf Madagaskar am Steuer einschlief, brauche ich hier nichts zu erzählen. Dabei ist mir nämlich zum Glück noch nie etwas passiert!

Meine letzte große Reise ging übrigens nach Hawaii. Dort habe ich mir im Hostel in Honolulu eine Beule am Kopf als Souvenir besorgt.